Karsten Igel
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Bürger

Der Begriff Bürger (mhd. „burgære“, „burger“) bezeichnete anfangs allgemein den Bewohner einer Burg, eines befestigten Ortes oder einer Stadt. Aus dieser allgemeineren Bedeutung entwickelte sich im Zuge der kommunalen Entwicklung des 11. bis 13. Jhs. der Bürger einer Stadt als rechtlich privilegierte Person. Vergleichbar verlief die Entwicklung des lateinischen Begriffs „civis“ vom Bewohner der civitas hin zur lateinischen Benennung des Stadtbürgers. Im 12. Jh. umschrieb der Begriff des Bürgers vor allem die „meliores“, die Besseren der Stadt, als politische Führungsgruppe. In der hochmittelalterlichen Stadt bildeten die Bürger nur einen Teil der städtischen Gesellschaft. Neben ihnen standen die unfreien Gruppen der Ministerialen (Dienstmannen) und Zensualen (an Zins gebundene Personen) sowie weitere hofrechtlich gebundene Gruppen, zu denen im 12. Jh. insbesondere noch Handwerker zählten. Gemeinsam bildeten sie das gesellschaftliche Fundament, aus dem sich die Bürger der spätmittelalterlichen Stadt zusammensetzten. Zur Stadtgesellschaft gehörte daneben aber auch stets der Klerus.

Mit der Etablierung der Bürger als feste gesellschaftliche Gruppe wurde nicht nur ihre rechtliche Abgrenzung stärker ausgeprägt, ebenso erfuhr der Zugang zum Bürgerrecht eine Regulierung. Sie konnte sowohl von einem autonomen Stadtrat ausgehen wie auch unter stadtherrlicher Aufsicht stehen. Konstituierend für die Bürgeraufnahme waren der Bürgereid und zumeist Bürgen, die den guten Leumund und die Herkunft des Neubürgers bezeugten. Mit dem Eid erfolgte der Eintritt in die als Schwurgemeinschaft konstituierte Gemeinschaft der Bürger. Voraussetzungen waren in der Regel persönliche Freiheit, eheliche Geburt, ein Mindestvermögen oder Hauseigentum, also die Fähigkeit, für seinen Unterhalt selbst aufkommen zu können und der Gemeinschaft nicht zur Last zu fallen. Die Festsetzung eines Mindestvermögens und die Höhe des Bürgergeldes konnten als Steuerungselemente für die Neubürgeraufnahmen eingesetzt werden. Hindernis für die Aufnahme konnte die Verwicklung in Fehden und Rechtshändel sein, damit die Bürgergemeinschaft nicht in diese hineingezogen wurde. Religiöse Ausschlussgründe galten gegenüber Juden. Ausgeschlossen wurden jedoch auch bestimmte andere Bevölkerungsgruppen. So wandten sich die sog. Wendenparagraphen in Städten in grenznahen oder in slawisch geprägten Regionen gegen die Aufnahme (häufig ländlicher) slawischer Zuwanderer in das Bürgerrecht. Eingetragen wurden die aufgenommenen Bürger in Neubürgerbücher, häufig mit Nennung der Namen, des Herkunftsortes und der Berufstätigkeit. Vereinfacht war die Aufnahme zumeist für Bürgersöhne oder im Falle der Heirat einer Bürgerwitwe. Das Bürgerrecht konnte wieder aufgegeben werden, vor der Aufsagung mussten aber Steuern und Schulden getilgt sein. Ebenso konnte es von Seiten des Rates als Sanktion entzogen werden.

Der Bürger war zu Steuern und Diensten für die Stadt verpflichtet, was insbesondere die Arbeit an den Befestigungen sowie Wehr- und Wachdienste beinhaltete; zugleich genoss er aber auch den rechtlichen wie militärischen Schutz der Stadt. Tatsächlich wurden die Pflichten aber zunehmend und besonders im Blick auf die finanziellen Lasten auf weitere Einwohnergruppen ausgeweitet, bis hin zu einer weitgehenden Besteuerung auch der Geistlichen in einigen Städten.

Im Idealbild der Forschung beschränkte sich das Bürgerrecht so auf die freien, männlichen und christlichen Haushaltsvorstände mit entsprechendem Vermögen. Von einem einheitlichen Bürgerbegriff kann tatsächlich aber nicht gesprochen werden. Die reale Situation schwankte zwischen einer eher restriktiven Vergabe des Bürgerrechts und einer umfassenderen, die auch Frauen, Juden, Adelige, Geistliche und wirtschaftlich schwache Gruppen umfassen konnte. Insbesondere in kleineren Städten wurden mitunter auch Hörige in Formen des Bürgerrechts aufgenommen. Ein gleicher Rechtsstatus war damit jedoch keineswegs verbunden, sondern es bestanden verschiedene Abstufungen des Bürgerrechts, wie sie sprachlich beispielsweise in den „Bürgern vom Rat“ und den „Bürgern von der Gemeinde“ (Augsburg) anklingen, in denen sich zugleich eine unterschiedliche politische Teilhabe ausdrückt. Als Pfahlbürger oder Ausbürger wurden außerhalb der Stadt Lebende, wie Adelige und Bauern, oder auch geistliche Institutionen bezeichnet, die am Bürgerrecht (Schutz) teilhaben wollten. Im Verlauf des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit kam es tendenziell zu einer rechtlichen Vereinheitlichung, gerade auch unter dem Einfluss des jeweiligen Landesherrn.

Den verschiedenen Zulassungsschranken zum Bürgerrecht entsprechend, schwankte auch der Anteil der Bürger an der gesamten Stadtbevölkerung. Meist machten sie nur eine Minderheit aus; die Verhältnisse konnten sich von Stadt zu Stadt aber deutlich unterscheiden. Dagegen zeigten sich die größeren Stadtrechtsfamilien wie die lübischen Rechts über ihren Verbreitungsraum sehr einheitlich. Dort scheint auch ein leichtes Wechseln in das Bürgerecht der einzelnen Städte bis hinein in den Rat als Vertretung der Bürgerschaft möglich gewesen zu sein.

Einen wesentlichen Unterschied in der Qualität des Bürgerrechts bedeutete die Möglichkeit der politischen Teilhabe am Rat in Form des aktiven und passiven Wahlrechts. So lässt sich der Bürger als wissenschaftlicher Ordnungsbegriff mit Isenmann auf das passive Wahlrecht gründen – also auf die wenigstens theoretisch bestehende Fähigkeit, in den Rat gewählt werden zu können, auch wenn die Möglichkeit dazu in der Regel auf die Zugehörigkeit zu bestimmten Sozialgruppen beschränkt blieb. Das aktive Wahlrecht dagegen bestand in der Großzahl der Städte zwar ebenfalls zumindest indirekt, vermittelt über Wahlmänner, war aber ausgeschlossen, wo der amtierende Rat wie in den lübisch-rechtlichen Städten selbst seine neuen Mitglieder hinzuwählte (kooptierte).

Seit dem 17. Jh. entwickelte sich der Begriff des Bürgers im Zuge der Ausbildung der absolutistischen Staaten hin zum weniger rechtlich-politisch als vielmehr sozial bestimmten Bürgerstand zwischen Adel und Bauern und schließlich zum Staatsbürger. Die soziale Differenzierung beruhte dabei weniger auf politischer Partizipation, sondern vor allem auf Besitz und Bildung des sog. Wirtschafts- und des Bildungsbürgertums (im Gegensatz zur entstehenden Arbeiterschaft). Das neue Standesbewusstsein und dann auch das Streben nach stärkerer politischer Teilhabe prägte seit dem 19. Jh. zugleich die nun zunehmende Erforschung der mittelalterlichen Stadt und der sie tragenden Bürgerschaft: Sei es als eigentliche Wurzel des modernen Staatsbürgertums oder in einer antifeudalen Wendung. Beide Perspektiven kommen beispielsweise in der klassischen Erzählung von der „Emanzipation der Bürger“ zum Tragen. Die idealisierenden und dem damaligen bürgerlichen Denken verhafteten Vorstellungen wirken trotz der zahlreichen Neuansätze in der Stadtgeschichtsforschung der vergangenen Jahrzehnte noch bis heute nach.

Karsten Igel (1.9.2014)

Literaturhinweise

  • Bader, Karl S./Dilcher, Gerhard: Deutsche Rechtsgeschichte Land und Stadt – Bürger und Bauer im Alten Europa, Berlin 1999.
  • Hirschmann, Frank G.: Die Stadt im Mittelalter (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 84), München 2009.
  • Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Wien [u.a.] 2012.
  • Rosseaux, Ulrich: Städte in der Frühen Neuzeit (Geschichte Kompakt), Darmstadt 2006.
  • Schmieder, Felicitas: Die mittelalterliche Stadt (Geschichte Kompakt), Darmstadt 2005.

Diese und weitere Literaturangaben sind zu finden in der Mediensuche.