Antje Diener-Staeckling
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Rat

In seinem Ursprung handelt es sich beim städtischen Rat oft um eine Institution des Stadtherrn. Mit der in einigen Reichsstädten bereits früh erscheinenden Begrifflichkeit „consules“ sind nicht die eigentlichen Ratsherren gemeint, sondern die „consiliarii“ – ein Gremium, das den Stadtherrn beriet. Ähnlich verhielt es sich mit den „scabinos“, den Schöffen, die eine vom Stadtherrn eingerichtete Institution und in vielen Fällen der direkte Vorläufer des bürgerlichen Rates waren.

Mit der Übernahme vieler – vormals stadtherrlicher – Rechte und Pflichten bildete sich im 12. Jh. der Rat als eigenständige Stadtregierung heraus. Seine Legitimation leitete sich aus dem genossenschaftlichen Gedanken der Bürgergemeinde ab, dessen Grundlage eine gemeinsame Schwureinung bildete. Das bedeutete, dass der Rat sein Amt als Stadtregierung im Auftrag der Bürgergemeinde ausübte, wodurch sich die Legitimation der Gebots- und Strafgewalt des städtischen Rates begründete. Die hohe Gerichtsbarkeit, also die „Blutgerichtsbarkeit“, verblieb allerdings in den meisten Fällen beim Stadtherrn.

Anfänglich bildete den Rat der Stadt ein Gremium der reichsten und damit mächtigsten Bürger. Damit zeichneten sich einerseits die Macht- und Obrigkeitsverhältnisse innerhalb einer Stadtgemeinde ab, andererseits konnten es sich nur wohlhabende Bürger leisten, ihre Geschäfte zugunsten der unbezahlten Tätigkeit im Rat zu vernachlässigen. Außerdem verdeutlichte der wirtschaftliche Erfolg, dass man sich qualifiziert hatte, erfolgreich für das „bonum commune“ einer Stadt zu sorgen. Die frühen „Willküren“ und „Schwörbriefe“, die wie ein verfassungsgebendes Dokument fungierten, legten deswegen fest, dass die „Besten“ die Stadt regieren sollten. Im Laufe des 13. Jhs. erscheint in fast jeder Stadt ein Ratsgremium.

Der eigentliche Rat umfasste in der Regel zwölf Personen oder ein Vielfaches davon. Als Vorbild dienten die zwölf Apostel, in deren direkte Nachfolge man sich stellte, um die Stadtherrschaft zu legitimieren. In anderen Fällen orientierte sich die Anzahl entweder an den wichtigen Familien der Stadt, den patrizischen Geschlechtern, oder auch an den Stadtvierteln, den sog. Burschaften, Laischaften oder Gaffeln. Auch die Anzahl der Zünfte, die seit dem 15. Jh. immer öfter die städtische Politik mitbestimmten, spiegelte sich in vielen Fällen in der Zahl der Ratsmitglieder wider. In der Folge kam es bereits früh zur Herausbildung eines großen Ratsgremiums, das bis zu 300 Mitglieder umfassen konnte, und dem kleinen bzw. engen Rat, der in der Regel zwölf bis 48 Mitglieder hatte. Der enge Rat regierte de facto, wogegen der große nur beratend tätig werden konnte.

Wahl und Amtsdauer der Ratsherren bewegten sich zwischen einem lebenslangen Amt und jährlicher Wahl. In ihrem Ursprung fand die städtische Ratswahl ein- oder zweimal jährlich statt, um nach dem Gedanken der städtischen Schwureinung die „Besten“ zur Stadtherrschaft zu bestimmen. In der Regel handelte es sich dabei nicht um eine freie Wahl nach modernem Verständnis, sondern um ein Kooptationsverfahren. Das bedeutete, dass nur im Todesfall eine Ratsmitgliedschaft völlig neu besetzt wurde. Ansonsten wechselte man im Prinzip jährlich zwischen zwei bereits feststehenden Ratsgremien: Der regierende Rat wählte zum Ablauf des Amtsjahres nach einem kooptativen Verfahren den neuen Rat. In der Regel standen hierfür die Mitglieder des „alten Rates“ zur Verfügung. Der neue Rat war also der Rat, der zwei Jahre zuvor die Stadt regiert hatte. Allein die Positionen der einzelnen Ratsmitglieder konnten sich mit dem neuen Amtsjahr ändern. Aus dem „alten Rat“ wurde dann der neue „regierende Rat“ und aus dem bis dahin „regierenden Rat“ der „alte Rat“. Meist stand der alte Rat dem neuen zusätzlich beratend zur Seite. Die Ratswahl gehörte zu den wichtigsten politischen Feiertagen in der Stadt, an dem sich die Bürgerschaft durch die Ratswahl immer wieder ihres Ursprungs und der Rat seiner Legitimation versicherte. Die Wahl wurde prachtvoll gefeiert. Neben dem großen gemeinsamen Essen, zu dem oft die ganze Bürgerschaft geladen wurde, standen die Eidesleistung des Rates und die Prozession der Ratsherren im Vordergrund.

Die Voraussetzungen, in den Rat zu gelangen, waren ein gewisses Alter, Grundbesitz in der Stadt und ein erfolgreiches Geschäft bzw. ein großes Vermögen. Darüber hinaus war es wichtig, gut mit Stadt und Umland vernetzt zu sein. Das bedeutete, dass der Kreis der potentiellen Ratsherren stets sehr beschränkt blieb. Doch waren es nicht immer nur dieselben Kreise, aus denen neue Mitglieder kamen. Auch ein reicher Geschäftsmann aus einer anderen Stadt konnte Mitglied des Rates werden. Die Voraussetzungen waren die gleichen: er kaufte Grundbesitz in der Stadt, hatte Geld und gute Verbindungen.

In dem Maße, in dem sich die Verwaltung differenzierte, fächerten sich auch die Ratsgremien auf. Bereits im 13. Jh. wurde zunächst das Amt der Bürgermeister eingeführt. Als Vorsitzende des Rates wurden sie jährlich oder halbjährlich gewählt. Es konnte im Durchschnitt bis zu vier Bürgermeister geben. Sie waren entweder Teil des Rates oder sie kamen – wie in den meisten Fällen – zusätzlich als neues Amt hinzu. Das bedeutet, dass es im Idealfall zwölf Ratsherren und einen oder zwei Bürgermeister gab, die den bürgerlichen Rat stellten. In jedem Fall gehörten sie zum regierenden Rat.

Darüber hinaus gab es zahlreiche Gremien um den Rat herum, die ursprünglich von der Bürgergemeinde geschaffen wurden, um den Rat zu kontrollieren. Diese Gremien, die „Genannte“, „Sechsmann“ oder „Achtmann“ heißen konnten, sollten die Finanzen der Stadt zusätzlich kontrollieren und waren bei zentralen Entscheidungen wie Krieg und Frieden stets hinzuzuziehen. Hintergrund waren Auseinandersetzungen zwischen den sozialen Gruppen innerhalb der Stadt, die im 13. und 14. Jh. immer häufiger wurden. Das Ergebnis waren Schutz- und Kontrollorgane wie die „Sechsmann“, die dem Gemeinen Besten der Bürgerschaft dienen sollten. Im Laufe des 15. und 16. Jhs., als sich der Rat zunehmend als Obrigkeit der Stadt begriff, wurden diese Gremien nach und nach Teil des großen Rates. Ihre eigentliche Bedeutung ging verloren.

Im Laufe des 15. Jhs. lassen sich in der Herrschaft des Rates obrigkeitliche Züge beobachten. Die Anrede „dominus“ für den Ratsherrn setzte sich allmählich durch. Der ursprünglich wechselseitige Eid zwischen Rat und Bürgerschaft am Tag des Ratswechsels entwickelte sich v.a. zum Gehorsamseid der Bürgerschaft gegenüber dem Rat. Ratsherren und Ratsfamilien grenzten sich als Führungselite nach außen immer mehr ab. Hatte der Rat schon zuvor durch verschiedene Handlungen und Symbole seine Rechtmäßigkeit zu legitimieren gesucht, tat er es jetzt verstärkt. Im Zuge der wachsenden Unabhängigkeit der Städte im 15. Jh. und der reformatorischen Entwicklungen des frühen 16. Jhs. machte der städtische Rat deutlich, dass – wie bei König und Kaiser – nur Gott über ihm stand und seine Herrschaft damit eine gottgewollte und richtige war.

Antje Diener-Staeckling (1.9.2014)

Literaturhinweise

 

  • Hecht, Michael: Patriziatsbildung als kommunikativer Prozess. Die Salzstädte Lüneburg, Halle und Werl in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln [u.a.] 2011.
  • Poeck, Dietrich W.: Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa. Köln [u.a.] 2003.
  • Ehbrecht, Wilfried: Konsens und Konflikt. Skizzen und Überlegungen zur älteren Verfassungsgeschichte Deutscher Städte, Köln [u.a.] 2001.

Diese und weitere Literaturangaben sind zu finden in der Mediensuche.